Die für private Bildungskonzerne einschneidenden Regulierungen in China führten Ende Juli zu teils panikartigen Verkäufen bei chinesischen Aktien. Bei vielen Investoren ist der Eindruck entstanden, dass mit der Zunahme an Regulierung die Regierung um Staatspräsident Xi Jinping den Einfluss des Privatsektors eindämmen und so die Macht konsolidieren möchte. Alles, was mit China zu tun hat, wird in Frage gestellt. Wir teilen diese Einschätzung nicht. Sagt Rolf Rathmayr, Asienspezialist bei Reichmuth & Co.
Öffnung der chinesischen Wirtschaft ist eine Erfolgsstory
China wurde im Jahr 2001 in die Welthandelsorganisation aufgenommen. Seither ging es mit der chinesischen Wirtschaft und dem Aktienmarkt bergauf. Das Land hat von der Öffnung, dem Wettbewerb und dem steigenden Export profitiert und die breite Bevölkerung hat an Kaufkraft gewonnen. Der langfristige Performance-Chart zeigt, dass es sich seit der Öffnung gelohnt hat in China zu investieren und eine markante Outperformance gegenüber dem MSCI World erzielt werden konnte. Die letzten 20 Jahre waren immer wieder von großen temporären Rückschlägen geprägt, welche stets gute Kaufgelegenheiten darstellten.
Zwei zentrale Fragen zur Neubeurteilung der Investmentüberzeugung
Bricht China die Internationalisierungsbemühungen ab, will keine ausländischen Investoren mehr und geht entsprechend zurück in Richtung Isolation? 2) Ist der chinesische Kapitalmarkt überhaupt noch investierbar oder wird der ganze private Sektor zu einer Non-Profit-Organisation? Die Öffnung der Wirtschaft, eingeleitet durch Deng Xiaoping in den 80er Jahren, hat China in die Moderne katapultiert. Hunderte von Millionen Menschen wurden aus der Armut gehievt. Die kommunistische Partei rechtfertigt ihren Machtanspruch durch den stetigen Anstieg des Wohlstands der Bevölkerung. Dies wird sie unserer Meinung nach nicht aufs Spiel setzen. China muss für Unternehmer und auch ausländisches Kapital attraktiv bleiben, um die zukünftigen Investitionen stemmen zu können. Auch wenn der jüngste Personenkult um Xi Jinping und vermehrte Eingriffe bei der Kapitalallokation von privaten Unternehmen zu denken geben, erwarten wir mittelfristig eine weitere Öffnung der chinesischen Kapitalmärkte. Bei der zweiten Frage sind wir klar der Meinung, dass es weiterhin sehr gute Opportunitäten gibt, um in China zu investieren. Regulierung in China ist, wie in anderen Ländern auch, einerseits ein Risiko, aber auch eine große Chance für Investitionen in Bereiche, die von der Regulierung begünstigt werden.
Durch die Regulierungen sollen Ungleichgewichte angegangen werden
Auch wenn sich im Vorfeld neue Regulierungstendenzen abgezeichnet haben, hat das Ausmaß der jüngsten Regulierungswelle, insbesondere in Bezug auf den Bildungssektor, viele Investoren überrascht. Die aktuelle Regulierungswelle muss jedoch differenziert und in einem längeren Kontext betrachtet werden. Es handelt sich nicht um einen unkontrollierten Rundumschlag. Jede der verschiedenen regulatorischen Maßnahmen, welche in letzter Zeit angekündigt wurde, zielt darauf ab, spezifische Probleme und Ungleichgewichte in der chinesischen Wirtschaft und Gesellschaft anzugehen. Es gibt dabei keine Evidenz, dass die Regierung Unternehmertum und Innovation verhindern will.
Unternehmertum bleibt ein wichtiger Pfeiler des wirtschaftlichen Erfolgs
China hat in den letzten Jahrzehnten und mit dem Eintritt in die Welthandelsorganisation eine enorme wirtschaftliche Entwicklung hinter sich. Dank des „Laissez-Faire“ Kapitalismus hat das hohe Wachstum insbesondere in der digitalen Wirtschaft große, innovative und schnell wachsende Privatunternehmen hervorgebracht. Während bei uns im Westen bereits ein gewisses Maß an Regulierung besteht, gab es solche aufgrund des rasanten Wachstums in China kaum in Bezug auf die Nutzung von Verbraucherdaten, Cyberschutz, Fintech und kartellrechtlicher Praktiken. Das sehr lasche Regulierungsumfeld hat sich nun geändert und die Politik versucht mit der Entwicklung Schritt zu halten. Wichtig ist auch zu verstehen, dass die neuen Gesetze sowohl für Privat- wie auch Staatsunternehmen gelten, also nicht auf bestimmte Marktteilnehmer abzielen. Xi Jinping hat wiederholt betont, dass auch der Privatsektor gestärkt werden müsse. Er ist sich bewusst, dass Unternehmertum ein wichtiger Pfeiler des wirtschaftlichen Erfolgs ist.
Investieren mit der politischen Agenda der chinesischen Regierung
Die jüngsten Einschnitte, insbesondere im Bereich des Bildungssektors, zielen auf die Bekämpfung der Ungleichgewichte sowie auf Monopole, welche Innovation verhindern könnten, ab. Eingriffe in die freie Marktwirtschaft, gesteuerte Kapitalallokation sowie auch Mikromanagement durch eine Zentralregierung betrachten wir als äußerst kritisch. Wenn man aber das Gesamtwohl einer Bevölkerung mittelfristig vor Augen hat, kann es durchaus Sinn machen, gewisse Bereiche zu regulieren um Ungleichgewichte zu stoppen, auch wenn dies kurzfristig Unsicherheit schürt. Ähnliche Themen werden im Westen ebenfalls seit einiger Zeit diskutiert und dürften gerade die Tech-Monopole über die nächsten Jahre beschäftigen. In den Segmenten wie E-Commerce und Internet, wo die Regulierung verschärft wurde, sind die Bewertungen mittlerweile sehr günstig und das Sentiment extrem negativ. Chinesische Technologieaktien handeln ca. zur Hälfte der Bewertung gegenüber US-Technologieaktien. Dieser hohe Bewertungsabschlag sollte mittelfristig für die Aktienkurse stützend wirken. Wir bevorzugen in diesem Segment Unternehmen, die hohe CashFlows abwerfen und für diejenigen welche die Regulierung nicht ein existenzielles Risiko für das Geschäftsmodell darstellt. Anderseits erhalten andere Bereiche zusätzlichen Rückenwind, da sie von der politischen Agenda der chinesischen Regierung profitieren werden. Hier dürfte sich das Wachstum beschleunigen und vermehrt Investoren anziehen. Hauptprofiteure der neuen Regulierungen sind Firmen im Bereich von sauberer Energie, Automatisierung, Innovation bei Schlüsseltechnologien wie 5G oder Halbleiterindustrie.
Individuelle Investitionsmöglichkeiten je nach Anlegertyp
Für die nächsten Monate erwarten wir in China aufgrund der Wachstumsverlangsamung sowohl von der Fiskal- wie auch der Geldpolitik unterstützende Maßnahmen. Die jüngste Korrektur erachten wir für langfristige Investoren als eine Kaufchance und kein Umfeld für Panikverkäufe. Wir sehen China als strukturellen Wachstumsmarkt und mischen Anlagen in dieser aufstrebenden Region in unseren Mischmandaten bei. Je nach Risikoneigung eignet sich dabei eine differenzierte, individuelle Umsetzung. Unsere Anlageempfehlungen sind unterschiedlich stark von den aktuellen Entwicklungen betroffen. Wo nötig ergreifen wir Maßnahmen, um uns noch besser für die Zukunft aufzustellen.