Am 14. Juni startet die Fußball-Europameisterschaft. Favoriten auf den Titel gibt es einige: von Titelverteidiger Italien über Frankreich, England und Spanien bis hin zum wiedererstarkten Deutschland. Blickt man auf die FIFA-Weltrangliste, so ist Frankreich formell der Top-Favorit als das bestplatzierte europäische Land – auf Rang zwei weltweit, nach Argentinien. Auf den Finanzplätzen Europas sieht es hingegen anders aus. Die Hamburger Sutor Bank hat sich die Frage gestellt, wer Börsen-Europameister ist. Dazu hat sie die Performance der teilnehmenden EM-Länder im Zeitraum von der letzten EM bis heute (31.8.2021-31.5.2024) miteinander verglichen. Das Ergebnis: Börsen-Europameister in dem Zeitraum ist die Türkei, vor Dänemark und Italien. Für Anlegerinnen und Anleger gibt es nach Ansicht von Mathias Beil, Leiter Private Banking der Sutor Bank, allerdings einiges zu beachten. Für die Türkei sei der Titel eher schmeichelhaft angesichts der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Deutschland liegt im Börsen-Ranking abgeschlagen an viertletzter Position.
Für die Auswertung hat die Sutor Bank die Daten der Bloomberg Large & Mid Cap Price Return Indizes (US-Dollar) der einzelnen Länder herangezogen, da diese eine große Marktabdeckung sicherstellen. Für Deutschland werden durch den Index beispielsweise 85 Prozent der Marktkapitalisierung des deutschen Aktienmarkts abgedeckt. Einige Länder blieben bei der Auswertung mangels verfügbarer Daten unberücksichtigt. Schottland und England wurden zu Großbritannien zusammengefasst. Insgesamt sind 15 Länder in der Auswertung vertreten.
Platz 1: Türkei weit vorne – doch Wirtschaft steht auf wackeligen Beinen
Mit knapp 113 Prozent hat der türkische Aktienmarkt im Vergleich der bei der EM teilnehmenden Länder am besten abgeschnitten. Allerdings täuscht diese Entwicklung über die wahre Situation der türkischen Wirtschaft hinweg. „Aus Anlegersicht ist die Türkei mit großer Vorsicht zu genießen. Zwar konnten einige Unternehmen wie etwa die Fluglinie Turkish Airlines aufgrund gestiegener Nachfrage nach der Corona-Pandemie deutliche Zugewinne erzielen. Doch gleichzeitig kämpft das Land mit sehr hoher Inflation und einer stark abgewerteten türkischen Lira“, sagt Mathias Beil.
Gerade weil die türkische Währung so stark abgewertet hat, haben viele ausländische Investoren bei türkischen Aktien zugegriffen, da sie in ausländischer Währung relativ günstig sind. Auch hat der türkische Staat einige Stützungsmaßnahmen unternommen, wodurch Aktienkurse stabil gehalten wurden. Angesichts einer Inflationsrate von zuletzt knapp 70 Prozent (April) verliert die türkische Bevölkerung massiv an Kaufkraft, die Arbeitslosigkeit ist mit knapp 10 Prozent hoch. „Die Türkei ist ein Börsen-Europameister auf wackeligen Beinen. Wer auf weiterhin stark steigende Kurse dort setzt, muss sich des hohen Risikos bewusst sein“, führt Beil aus.
Platz 2: Dänemark mit „Ausnahmespieler“ an der Börse
Beim Zweitplatzierten Dänemark mit rund 59 Prozent Wertentwicklung ist der Fall anders gelagert. „Dänemark hat eine robuste Wirtschaft, mit niedriger Arbeitslosigkeit und hohen Haushaltseinkommen. Viele dänische Unternehmen sind in globalen Wachstumssektoren tätig, wie zum Beispiel erneuerbare Energien, Biotechnologie und Pharmazeutika“, erklärt Mathias Beil.
Allerdings lässt sich die gute Entwicklung Dänemarks primär mit einem Wert, dem Pharmaunternehmen Novo Nordisk, erklären. Die Firma, die weltweit führend in der Behandlung von Diabetes und anderen chronischen Krankheiten ist, hat auf Sicht von drei Jahren eine Performance von rund 280 Prozent an der Börse erzielt. „Das Beispiel Dänemark zeigt, dass ein ‚Ausnahmespieler‘ in einem kleineren Land sehr viel bewirken kann. Das gilt für die Aktienperformance einerseits im positiven Sinne, aber es kann eben auch die Gesamtperformance eines Landes nach unten reißen, wenn es mal schlecht läuft“, sagt Beil.
Platz 3: Italien mit starkem Bankensektor
Der Aktienmarkt in Italien hat sich in den letzten drei Jahren ebenfalls gut entwickelt, mit knapp 34 Prozent Performance seit August 2021 liegen italienische Aktien in der EM-Börsen-Rangliste auf Platz 3. Blickt man auf die Einzelwerte, so fällt vor allem die gute Wertentwicklung von Bankaktien auf. Die UniCredit hat in drei Jahren rund 230 Prozent zugelegt, den guten Unternehmenszahlen sei Dank: Mit einem Nettogewinn von 8,6 Milliarden Euro für das Jahr 2023 übertraf die UniCredit die Erwartungen der Analysten deutlich. Auch die BPER Banca (Banca Popolare dell‘ Emilia Romagna) hat in drei Jahren mit fast 140 Prozent stark zugelegt. Eine Top-Performance erzielte auch der Rüstungs- und Luftfahrtkonzern Leonardo mit knapp 240 Prozent in drei Jahren. Der Luxusautomobilkonzern Ferrari schnitt mit knapp 120 Prozent ebenfalls sehr gut ab.
Die Kehrseite der Medaille in Italien ist allerdings die hohe Staatsverschuldung. Mit rund 140 Prozent des BIP ist die Verschuldung die zweithöchste in der Eurozone, nach Griechenland. Dabei könnten die nun eingesetzten Zinssenkungen wiederum gerade italienischen Aktien weiter zugutekommen: „Aufgrund der Zinssenkungen muss Italien weniger für seine Schulden bezahlen. Das könnte sich positiv auf den Konsum und Investitionen im Land auswirken, und letztlich auch die Aktienkurse in Italien weiter antreiben“, erklärt Mathias Beil.
Übersicht: Börsen-Europameister
Land | Performance 3 J. |
Türkei | 112,93% |
Dänemark | 58,85% |
Italien | 33,95% |
Tschechien | 32,92% |
Spanien | 29,07% |
Frankreich | 19,75% |
Großbritannien | 18,65% |
Österreich | 17,22% |
Polen | 9,57% |
Schweiz | 7,20% |
Niederlande | 6,60% |
Deutschland | -1,18% |
Belgien | -2,82% |
Ungarn | -12,23% |
Portugal | -12,38% |
Quelle: Bloomberg; Index je Land: Large & Mid Cap Price Return Index USD; Zeitraum: 31.8.2021-31.5.2024
Deutschland im Börsenvergleich abgeschlagen
Und wo steht Deutschland im Börsenvergleich? Mit -1,18 Prozent auf Drei-Jahres-Sicht ist Deutschland weit abgeschlagen – nur Belgien, Ungarn und Portugal performten noch schlechter. Mathias Beil sieht mehrere Faktoren als Ursache für das schlechte Abschneiden Deutschlands: „Deutschland ist stark abhängig von Industriewerten, insbesondere der Automobilindustrie und dem Maschinenbau. Diese Sektoren hatten in den letzten Jahren einige Schwierigkeiten gehabt. Steigende Energiepreise haben zudem die Produktionskosten in Deutschland, das stark von Energieimporten abhängig ist, massiv erhöht. Auch der Technologiesektor ist hierzulande verhältnismäßig klein, verglichen etwa mit skandinavischen Ländern“, erklärt Beil. Diese Faktoren hätten sich auch am Aktienmarkt bemerkbar gemacht.
„Am Ende liegt die Wahrheit auf dem Platz – oder an der Börse“
Das Fazit aus der Auswertung? „Man muss genau hinsehen, auf welches Börsen-Team man künftig setzt. Es zeigt sich, dass manche Börse sehr abhängig ist von einzelnen Werten, zudem sollte man die Rahmenbedingungen wie etwa in der Türkei stets im Auge haben“, sagt Mathias Beil. „Die beste Börsenstrategie ist und bleibt, Anlagen breit über verschiedene Länder und Branchen zu streuen. Denn letztlich sind die Börsengewinner von morgen genauso schwer vorherzusehen wie der Fußball-Europameister 2024. Am Ende liegt die Wahrheit also auf dem Platz – oder an der Börse“, führt Beil aus.