Laut den Experten von J.P. Morgan Asset Management zeigt die globale Wirtschaftserholung fast zwei Jahre nach Ausbruch der Pandemie weiterhin eine starke Dynamik. Nach massiven fiskalischen und geldpolitischen Anreizen sorgen nun ein robuster Investitionszyklus und verbesserte Arbeitsproduktivität für Rückenwind. „Während die Wirtschaft nur begrenzte Narben davongetragen hat, werden die massiven geld- und fiskalpolitischen Interventionen nachhaltigere Auswirkungen für Anleger haben“, betont Jens Schmitt, Leiter Institutional Sales in Deutschland und Österreich bei J.P. Morgan Asset Management. Denn die gewaltigen Rettungsprogramme zur Überbrückung der negativen Auswirkungen der Pandemie scheinen das Jahrzehnt schleppender Investitionen, periodischer Sparmaßnahmen und schwacher Produktivität beendet und den Fokus der Regierungen auf nominales Wachstum und eine erhöhte Bereitschaft zum Geld ausgeben verlagert zu haben.
Dies ist eine der zahlreichen Erkenntnisse des aktuell veröffentlichten langfristigen Kapitalmarktausblicks (Long-Term Capital Market Assumptions – kurz LTCMA) von J.P. Morgan Asset Management, für den ein Blick über einen Anlagehorizont von zehn bis 15 Jahren in die Zukunft geworfen wird. Seit nunmehr 26 Jahren wird für diese umfangreiche Publikation die Expertise der globalen Investment- und Strategieteams gebündelt; in den Researchprozess fließen quantitative und qualitative Analysen sowie Erkenntnisse von mehr als 50 Experten ein. Basierend auf diesen Annahmen werden die langfristigen Kapitalmarkt- und Risikoerwartungen für 200 Anlageklassen, Strategien und Währungen festgelegt. Ziel dieser jährlichen Reports ist, die langfristige, strategische Asset Allokation über Zyklen hinweg ausrichten zu können.
Die aktuelle Analyse zeigt, dass die zukünftigen Ertragschancen an den öffentlichen Kapitalmärkten im historischen Vergleich deutlich niedriger ausfallen. „Ein Portfolio mit 60 Prozent Aktien und 40 Prozent Anleihen wird unserer Berechnung nach über die nächsten zehn bis 15 Jahre nur noch einen jährlichen Ertrag von 4,3 Prozent in US-Dollar und 2,8 Prozent in Euro erwirtschaften können. Das bedeutet, dass Anleger in Zukunft über die traditionellen Anlagemärkte hinaus aktiv werden müssen, um ihre Verpflichtungen erfüllen zu können“, so Schmitt. Es sei also sinnvoll, das eingesetzte Kapital „härter arbeiten“ zu lassen. „Wer das volle Chancenspektrum nutzt, neue Quellen für Erträge erschließt und aktive Anlageentscheidungen trifft, hat auch weiterhin die Möglichkeit, robuste und effiziente Portfolios zu generieren“, unterstreicht Jens Schmitt.
Wachstum und Inflation leicht erhöht
So ist der Ausblick insgesamt vorsichtig optimistisch. „Unsere Prognosen für das nominale Wachstum in den Industrieländern steigen aufgrund der ausgabenfreudigen Regierungen leicht an“, erläutert Tilmann Galler, Kapitalmarktstratege bei J.P. Morgan Asset Management, der an den LTCMA-Analysen beteiligt war. Er räumt aber ein, dass sich die Erholung in den schwergewichtigen Volkswirtschaften der USA, China oder Indien in die Länge ziehen könnte. Gleichzeitig steigt die Produktivität durch die Einführung von neuen Technologien in den Unternehmen – ein Trend, der durch die Pandemie massiv an Fahrt gewonnen hat. Aber die Realität der schwachen Demografie wird das Wirtschaftswachstum sowohl in den Industrieländern als auch in den Schwellenländern weiterhin belasten.
„Wir sehen für die Inflation sowohl Aufwärts- als auch Abwärtsrisiken, die aber im aktuellen Zyklus nicht zu nachhaltigen Verwerfungen führen sollten. Dennoch wurden zum ersten Mal seit vielen Jahren die langfristigen Inflationsprognosen für alle Volkswirtschaften angehoben“, so Galler. „Die verstärkte Koordination zwischen Geld- und Fiskalpolitik, die sich im Zuge der COVID-19-Pandemie zeigte, und nach unserer Einschätzung auch längerfristig ein wesentlicher Bestandteil der Konjunktursteuerung sein wird, dürfte zukünftig sich inflationserhöhend auswirken.“
Prognosen der Long Term Capital Market Assumptions 2022
Globales Wachstum: Für die globalen Volkswirtschaften in den nächsten 10 bis 15 Jahren wird ein reales BIP-Wachstum von 2,2 Prozent prognostiziert. Dies betrug in der letzten Dekade von 2010 bis 2020 noch 2,9 Prozent und selbst in der Dekade der globalen Finanzkrise von 2000 bis 2020 2,7 Prozent. Das aggregierte Wachstum der entwickelten Märkte, das auf 1,5 Prozent geschätzt wird, liegt ziemlich nah an seinem historischen Durchschnitt. Durch Chinas anhaltende Wachstumsverlangsamung wird das gesamte Wachstum der Schwellenländer (EM) nach unten gedrückt und die Prognose liegt bei 3,7 Prozent, verglichen mit 6,0 Prozent in den 20 Jahren bis 2020.
Globale Inflation: Zum ersten Mal seit vielen Jahren wurden die langfristigen Inflationsprognosen von 2,2 Prozent auf 2,4 Prozent angehoben – für einen anhaltenden Deflationsdruck gibt es nur ein geringeres Risiko. Stattdessen erweist sich die Inflation, die sich im Zuge der COVID-19-Pandemie zeigte, als etwas hartnäckiger als von den Zentralbanken erwartet.
Finanz- und Geldpolitik: Die Folgen der Politikentscheidungen in der Pandemie werden langfristig nachklingen. Die mutige Fiskal- und Geldpolitik konnte die Wirtschaft aus der Pandemie-Talsohle herausführen, aber sie stellt auch eine dauerhafte Verschiebung der Wirtschaftspolitik dar. Nach dem Jahrzehnt des Gelddruckens folgt das Jahrzehnt des Geldausgebens: Ermutigt durch den Erfolg ihrer Pandemiepolitik fokussieren sich die Regierungen nun auf mehrjährige Ausgabenpläne, deren Schwerpunkt auf dem Wiederaufbau der bröckelnden Infrastruktur, der Bekämpfung der sozialen Ungleichheit und der Bekämpfung des Klimawandels liegt.
Aktien: Für US-Large-Cap-Aktien ist unverändert eine Jahresrendite von 4,1 Prozent über den Anlagehorizont zu erwarten. Die Aktienprognose für die Eurozone verbessert sich um 60 Basispunkte auf 5,8 Prozent, was den günstigen Margen- und Bewertungseffekten zu verdanken ist. Für Japan wird ein geringer Rückgang von 10 Basispunkten auf 5,0 Prozent prognostiziert, während britische Aktien eine große Abwärtskorrektur von 260 Basispunkten auf 4,1 Prozent verzeichnen, da der Sektormix auf erheblichen Gegenwind für Margen und Bewertungskontraktionen hindeutet. Nicht zuletzt verzeichnen die Schwellenländer einen leichteren Rückgang um 20 Basispunkte auf 6,6 Prozent. Diese Veränderungen führen dazu, dass die Schätzung der globalen Aktienrenditen um 10 Basispunkte auf 5,0 Prozent (in US-Dollar) sinkt. „Die Aktienrenditen zeigen sich für diesen Zyklus selbst nach einem Jahr starken Wachstums als stabil. Eine stärkere Berücksichtigung führender Unternehmen des grünen und digitalen Übergangs kann für stabilere Margen und Rückenwind durch Bewertungen sorgen“, bekräftigt Galler.
Anleihen: Während die Aussichten für Staatsanleihen düster bleiben, verbessern sich die Prognosen für die nominalen Anleiherenditen ab 2021 durch höhere Anfangsrenditen und die Erwartung von zumindest leicht höheren Zinsen am Ende des Prognosezeitraums. Diese Faktoren steigern die Renditeprognose für 10-Jährige US-Staatsanleihen um 80 Basispunkte auf 2,4 Prozent, während die Prognosen der USD-Geldmarktrenditen um 20 Basispunkte auf 1,3 Prozent steigen. Dennoch, angesichts der USA-Inflationsschätzung von 2,3 Prozent bedeutet dies immer noch negative Realrenditen für den Geldmarkt und praktisch null Realrenditen für US-Treasuries im Durchschnitt über den Prognosehorizont hinweg. Außerhalb der USA sieht das Bild düster aus, mit nominalen Staatsanleihenrenditen von nur 1,25 Prozent für den 10-jährige Euro-Anleihen und 1,7 Prozent für 10-jährige Pfund-Anleihen, was deutlich negative Realrenditen bedeutet. „Staatsanleihen sind in vielen Staaten der Welt also weiterhin wenig attraktiv. Bei anhaltender finanzieller Repression bleiben Unternehmensanleihen unser bevorzugte Anleihensektor“, betont Ökonom Galler.
Alternative Anlageklassen: Exzellente Langfristerträge versprechen nach wie vor die alternativen Anlageklassen – so ist Private Equity um 30 Basispunkte gegenüber dem Vorjahr auf 8,1 Prozent gestiegen und Private Debt sollte 6,9 Prozent bieten können – ein Anstieg um 10 Basispunkte. Während diese alternativen Anlageklassen im Allgemeinen ein Aktien-Beta aufweisen, können die durch die Managerauswahl verfügbaren Zusatzerträge den Portfolios einen erheblichen Schub verleihen. Reale Vermögenswerte heben sich weiterhin durch besondere Anlagechancen hervor: sie sind sowohl attraktiv bewertet – da sie nicht vollständig an der Risikorallye nach der Pandemie teilgenommen haben – und können in einer Vielzahl von Wirtschaftsszenarien überzeugen. „Beständige Alpha-Trends und die Möglichkeit, Illiquiditätsrisikoprämien zu erzielen, unterstützen die Erträge der alternativen Anlageklassen im Vergleich zu den öffentlichen Kapitalmärkten. Und Real Assets sind mit ihren regelmäßigen Ertragsströmen von Immobilien, Infrastruktur und Transportinvestments besonders willkommen, wenn die Anleiherenditen wenig Ertrag bieten“, fasst Tilmann Galler die Vorteile zusammen.
So ist ein Fazit des langfristigen Kapitalmarktausblicks, dass Portfolios, mit denen es in der Vergangenheit noch möglich war, die Ertragsziele zu erreichen, nun für die Zukunft gerüstet werden müssen. „Neben einem Fokus auf Hochzinsanleihen sollte die Aktienallokation internationaler werden und die Ergänzung alternativer Anlageklassen ist ebenso Pflicht wie verlängerte Zeithorizonte bei der Anlage sowie ein sorgfältiges Liquiditätsmanagement. Um heute historische Ertragsniveaus erreichen zu können, ist neben einer aktiven Allokation die sorgfältige Manager- und Wertpapierauswahl entscheidend“, sagt Kapitalmarktstratege Tilmann Galler.