An den Aktienmärkten sorgen hohe Inflationsraten für Druck auf die Kurse. In der Eurozone lagen die Verbraucherpreise im April um 1,6 Prozent höher als im Vorjahr gemäß aktueller Zahlen des Statistikamts Eurostat, im März lag die Steigerung noch bei 1,3 Prozent. Auch in Deutschland und in den USA sind die Inflationszahlen im April deutlich gegenüber den Vorjahresmonaten gestiegen. Nach Ansicht von Lutz Neumann, Leiter Vermögensverwaltung der Hamburger Sutor Bank, sollten sich Anleger von solchen Marktdämpfern jedoch nicht verschrecken lassen. „Die Mitteilungen über steigende Inflationsraten sorgen derzeit immer wieder für erhöhte Volatilität an den Aktienmärkten. Doch sollte der Blick nicht nur auf die Inflation als vermeintlicher Kursindikator gehen. Der wesentlichere Aspekt sind die Gewinnzahlen der Unternehmen“, stellt der Kapitalmarktexperte fest. „Steigen die Gewinne, sollte sich das ebenfalls in den Kursen abbilden. Die Berichte zu den Gewinnzahlen im ersten Quartal zeigen in dieser Hinsicht ein überraschend gutes Bild“, sagt Neumann.
Paradoxon: Inflationsraten steigen, Kurse fallen – Aktien gleichzeitig als Inflationsschutz
Die Inflationsrate in der Eurozone liegt mit 1,6 Prozent auf einem Zwei-Jahres-Hoch – zuletzt lag die Rate im April 2019 über diesem Wert (1,7 Prozent). Auch in Deutschland ist die Inflationsrate im April mit 2,0 Prozent so hoch wie zuletzt vor exakt zwei Jahren, im April 2019. In den USA erreichte die Inflationsrate im April mit 4,2 Prozent sogar einen Stand, der zuletzt im September 2008 übertroffen wurde (4,9 Prozent).
In der Verbindung von Aktienkursen und Inflation steckt nach Meinung von Lutz Neumann ein gewisses Paradoxon für Anleger. „Auf der einen Seite sehen Anleger Kursrückschläge, die parallel zur Bekanntgabe steigender Inflationsraten erfolgen. Auf der anderen Seite gibt es die Grundregel, dass Aktien vor steigender Inflation schützen können, da sie gegenüber Anleihen an Attraktivität gewinnen“, erklärt Neumann. Bei vielen professionellen Marktteilnehmern schwinge bei steigenden Inflationsraten die Annahme mit, dass die Notenbanken gezwungen sein könnten, die Zinsen zu erhöhen – was wiederum die Attraktivität von Anleihen erhöhen und die von Aktien verringern würde. „Trotz steigender Inflationsraten haben Notenbanken wie die EZB und die Fed zuletzt ihre Aussage erneuert, Zinsen vorerst nicht erhöhen zu wollen. Die Folgerung, dass sich höhere Zinsen zeitnah negativ auf Aktienkurse auswirken könnten, hat daher derzeit keine fundierte Grundlage“, sagt Neumann.
Gewinnzahlen überraschen positiv – und dürften Kurse weiter stützen
Für Lutz Neumann ist daher der Blick auf die Gewinnzahlen der Unternehmen entscheidender. Dort gab es mit Blick auf das erste Quartal 2021 positive Nachrichten. Beispiel Europa: Gemäß Zahlen des Anbieters Refinitiv haben bislang 263 Unternehmen (Stand: 18.5.2021) aus dem europäischen STOXX 600 Gewinnzahlen für das erste Quartal 2021 vorgelegt – davon haben 73 Prozent die Analystenschätzungen übertroffen. Im Durchschnitt werden laut Refinitiv die Analystenschätzungen in einem Quartal um 51 Prozent übertroffen. Insgesamt wird mit einem Gewinnwachstum der STOXX-600-Unternehmen von knapp 93 Prozent für das erste Quartal 2021 gegenüber dem ersten Quartal 2020 gerechnet.
Für die USA gibt es ebenfalls deutlich positive Unternehmensnachrichten. Von den 457 Unternehmen aus dem S&P 500, die bis dato (Stand: 14.5.2021) Gewinnzahlen für das erste Quartal vorgelegt haben, konnten 87 Prozent die Analystenschätzungen übertreffen. Im langjährigen Durchschnitt übertreffen Unternehmen die Analystenschätzungen um 65 Prozent, im vierten Quartal 2020 lag die Quote bei 76 Prozent.
„Bei vielen Unternehmen waren größere Gewinnsteigerungen erwartbar, da Gewinne im Zuge der Corona-Pandemie zurückgegangen sind. Dennoch überraschen die Zahlen, da offenbar Unternehmen auf breiter Front deutlich robuster durch die Krise gekommen sind als angenommen“, stellt Lutz Neumann fest.
Anleger sollten nach Ansicht von Lutz Neumann daher keine voreiligen Schlüsse ziehen, wenn Aktienkurse im Zuge steigender Inflationsraten nachgeben. „An Aktien führt langfristig kein Weg vorbei. Die gehäuften positiven Gewinnzahlen sprechen dafür, dass auch weiterhin Kurssteigerungen an den Aktienmärkten gerechtfertigt sind“, erklärt der Marktexperte.