Die EZB hat sich auf ihrer vergangenen Sitzung nicht dazu entschieden, die Leitzinsen zu senken. Das mag daran liegen, dass dem Rat die Inflation noch zu hoch liegt, wie EZB-Chefin Christine Lagarde sagt. „Doch wie bei vielen Entscheidungen drängt sich der Eindruck auf, dass die EZB lieber noch wartet, bis die Fed vorgelegt hat“, sagt Mathias Beil, Leiter Private Banking bei der Sutor Bank. „Bislang hat die EZB in ihrer knapp 25jährigen Geschichte noch nicht gehandelt, ohne dass die US-Notenbank vorangegangen wäre.“
Trotz insgesamt sinkender Inflationszahlen setze sich die Mehrheit in der EZB durch, der die Teuerungsrate vor allem bei Dienstleistungen mit vier Prozent noch zu hoch ist. Die Konjunktur sei weiter schwach, es sei aber Besserung in Sicht, mit Wirkung auf weitere Bereiche wie etwa den Export, hieß es von Seiten der EZB. Der Arbeitsmarkt sei anhaltend robust, die Arbeitslosenquote weiter auf dem tiefsten Stand der Euro-Geschichte.
„Dabei fiel die Entscheidung der EZB nicht einstimmig, einige Ratsmitglieder hätten eine Senkung der Leitzinsen noch im April bevorzugt“, sagt Beil. Im Umfeld sinkender Inflation und mauer Konjunktur gab es genug Stimmen, die durchaus einen Zinsschritt befürwortet hätten. „Doch das ist nicht die Sache der EZB“, sagt Beil. Wie die Grafik zeigt, gab es seit Bestehen der EZB immer erst dann eine Trendwende bei den Zinsentscheidungen, wenn die Fed es vorgemacht hat.
Bis zur Juni-Sitzung der EZB veröffentlichen die Statistikämter noch zweimal frische Inflationsdaten. Außerdem wird bis dahin feststehen, wie stark die Tariflöhne im ersten Quartal 2024 gestiegen sind. „All das sind wichtige Informationen für den EZB-Rat“, so Beil. „Im Juni kann die EZB dann beweisen, dass die Worte von Frau Lagarde stimmen, wenn sie sagt, Entscheidungen der EZB seien datenabhängig und nicht abhängig von Entwicklungen in den USA.“ Zuletzt hatte das US-Arbeitsministerium neue und überraschend hohe Preisdaten veröffentlicht. Das lässt eine Zinssenkung in den USA schon im Sommer unwahrscheinlich werden.