Nach 16 Jahren wird in diesem Jahr die Kanzlerschaft von Angela Merkel enden, und laut Tobias Burggraf, Portfoliomanager bei Ethenea Independent Investors S.A., endet damit auch eine Politik, die wie keine andere für Vernunft, Pragmatismus und Stabilität stand: „Angela Merkel hat unaufgeregt mit Maß und Mitte regiert. In den kommenden Jahren und Jahrzehnten werden jedoch zwangsläufig Veränderungen notwendig sein, da die großen Probleme dieses Jahrzehnts, wie Klimawandel, Digitalisierung und soziale Ungleichheit, gelöst werden müssen.“
Schluss mit Politik der kleinen Schritte?
Laut Burggraf sei man beim Blick auf die Wahlprogramme der großen Parteien geneigt, von einem kommenden großen Wurf zu sprechen, besonders im Hinblick auf das Thema Klimaschutz. So hieße es bei den Grünen, dass man nichts Geringeres als eine „Energierevolution“ anstrebe, indem man erneuerbare Energiequellen massiv ausbauen und fossile Brennstoffe stärker sanktionieren wolle. Auch ein Klimaministerium mit Veto-Recht bringt die Partei um Spitzenkandidatin Annalena Baerbock mit ihrem jüngsten Sofortprogramm ins Spiel. Die FDP verweise dagegen auf ihre Rolle als „Vorbild und Vorreiter im Klimaschutz“, nur um die Verantwortung dann doch lieber auf die Märkte abzuwälzen, indem man den Emissionszertifikate-Handel ausweiten wolle, so der Portfoliomanager. Schließlich erreiche man laut dieser Partei die CO2-Ziele am besten, wenn sich der Staat komplett aus dem Thema raushalte. Bei den beiden großen Volksparteien Union und SPD bliebe vieles offen, wenn es um den Klimaschutz geht. „Die Verpflichtungen des Pariser Klimaabkommens sollen selbstverständlich eingehalten und bis 2045 Treibhausgasneutralität erreicht werden, konkrete Maßnahmen und Zielsetzungen seien aber in beiden Programmen kaum vorhanden, im Programm der CDU/CSU weniger als in dem der SPD,“ so der Portfoliomanager.
Richtungsändernde Koalitionen unwahrscheinlich
Doch was bedeutet das Ganze für die Finanzmärkte? „Es ist richtig, dass die Politik in den letzten Jahren eine untergeordnete Rolle für die Finanzmärkte gespielt hat,“ so Tobias Burggraf. „Tatsächlich deutet unserer Meinung nach weiterhin einiges darauf hin, dass die bevorstehenden Bundestagswahlen erneut wenig Einfluss auf die Märkte haben werden.“ So sei der Wahlausgang weiterhin offen und stark richtungsändernde Koalitionen wie ein Bündnis aus CDU und FDP oder SPD, Grünen und Linkspartei seien aktuell nicht in Sicht. Nach aktuellen Umfragen seien besonders eine Jamaika-Koalition aus CDU, Grünen und FDP sowie eine Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP möglich.
„In einer dieser Konstellationen müssten allerdings notgedrungen einige inhaltliche Kompromisse gefunden werden,“ so der Experte von Ethenea. „Dadurch würden einschneidende Forderungen dann doch wieder verwässert werden.“ Außerdem würden erfahrungsgemäß nicht alle im Wahlprogramm verankerten Punkte realisiert werden, einige würden sogar an der Umsetzbarkeit scheitern: „Die CDU verspricht deutliche Steuersenkungen, allerdings herrscht Unklarheit über die Finanzierbarkeit und darüber, wie das Ziel einer schwarzen Null ohne zusätzliche Steuereinnahmen auf der anderen Seite erreicht werden soll,“ analysiert Burggraf. Der CDU-Kanzlerkandidat habe im ARD-Sommerinterview sogar das eigene Wahlprogramm für nichtig erklärt, als er behauptete, dass im Wahlprogramm der Union keine Rede von Steuersenkungen sei. „Das macht es für uns Portfoliomanager fast unmöglich, eine seriöse Prognose darüber abzugeben, welche Programmpunkte umgesetzt werden, geschweige denn, welche Auswirkungen diese auf die Kapitalmärkte haben werden.“
Kurzfristige Volatilität nicht besorgniserregend
Die Vergangenheit habe aber gezeigt, dass ein Regierungswechsel immer mal wieder mit kurzfristigen, auch heftigen Marktreaktionen und erhöhter Unsicherheit korrelieren kann. Allerdings gingen diese nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses genau so schnell zurück, wie sie gekommen waren. „Das konnte man beispielsweise in den USA bei dem nicht ganz reibungslosen Übergang von der Trump- zur Biden-Administration beobachten,“ so der Portfoliomanager. Dementsprechend sei es wichtig, sich nicht von einem kurzfristigen Anstieg der Volatilität aus der Ruhe bringen zu lassen, sondern das langfristige Anlageziel im Blick zu behalten. „Gleichzeitig verfügen wir als aktive Portfolio Manager mit unseren Mischfonds aber auch über die nötige Flexibilität, um auf unvorhergesehene Entwicklungen kurzfristig reagieren zu können und damit die Drawdowns, also maximale Wertverluste, zu begrenzen,“ schließt Tobias Burggraf.