Wenn es um Amerikas größte Technologieunternehmen geht, scheint das regulatorische Risiko so hoch wie noch nie: Datenkraken, Fake-Newsplattformen oder Quasi-Monopole sind nur einige der vorgebrachten Vorwürfe. Die meisten großen Technologiefirmen sehen sich dem hohen Druck der US-amerikanischen und europäischen Behörden ausgesetzt. Tracy Li ist Anlagespezialistin bei Capital Group und hat einen solchen regulatorischen Zyklus bereits mitgemacht, als sie nach der Finanzkrise 2007 als Analystin das US-amerikanische Bankengeschäft beobachtet hat. Mittlerweile ist sie für US Large Cap Banken und Internetunternehmen zuständig und wendet ihr Wissen auf den Tech-Sektor an.
Eins ihrer wichtigsten Erkenntnisse: Es sei eine ungenaue Wissenschaft, exakte Folgen von neuen Gesetzen vorherzusagen. „Meiner Erfahrung nach ist es sehr schwierig, einen Wissensvorsprung bei der Vorhersage der Folgen von Gesetzen zu entwickeln. Investoren verbringen damit zu viel Zeit“, sagt Li. Diese Zeit sei besser verwendet, diejenigen Unternehmen zu identifizieren, die bereit sind, sich den neuen Regeln anzupassen.
Unternehmen könnten auch intensive Regulierungszyklen überleben und an ihnen wachsen. So zum Beispiel am Dodd-Frank Act, der nach der Finanzkrise von 2007 eingeführt wurde und rund 28.000 neue Regeln und Einschränkungen für Banken beinhaltete. Die Einnahmequellen wurden beschnitten, die Kapitalanforderungen verdoppelt und die Compliance-Kosten stiegen in die Höhe. „Zu dieser Zeit dachten viele, dass große Banken einfach nicht mehr investierbar seien. Doch ab 2013 schlugen einige große Bankaktien den breiteren Markt für den Rest des Jahrzehnts deutlich“, weiß Li. Denn Anpassungsfähigkeit an neue Gesetze sei eine starke und unterschätzte Kraft, die oftmals über Gewinner und Verlierer entscheide.
Investoren sollten bei ihrer Einschätzung der regulatorischen Risiken vor allem auf die Ausgangsbewertung der Unternehmen achten. „Meiner Ansicht nach haben Alphabet und Facebook unter den großen US-Tech-Unternehmen einen typischen regulatorischen Schock bereits eingepreist“, sagt Li. Ihre Einschätzung basiert auf Studien anderer Branchen, die früher mit ähnlichem regulatorischem Druck konfrontiert waren, etwa die Bankenbranche nach dem Dodd-Frank Act. „Die Tech-Giganten werden zu günstigeren Bewertungen gehandelt als beispielsweise Visa und Mastercard, die ich beide für hochwertige Unternehmen mit einem breiten Burggraben und Preissetzungsmacht halte“, sagt Li.
Einen weiteren Punkt führt die Expertin an: Bei neuen Gesetzten überwiege oft die politische gegenüber der wirtschaftlichen Logik. An der Bankenregulierung etwa hätten sich viele Beispiele für irrationale Politik mit unbeabsichtigten Folgen gezeigt, so Li. Zum Beispiel hätten die Regulierungsbehörden erkannt, dass die SLR-Regel (Supplementary Leverage Ratio) für Großbanken nicht ganz so funktioniert wie beabsichtigt – aber es bräuchte mehr als ein Jahrzehnt und das Risiko einer tiefen Rezession, um sie neu zu kalibrieren.
Drei Bereiche sind für Tech-Werte besonders wichtig
Die größten regulatorischen Risiken, mit denen Technologieunternehmen heute konfrontiert seien, ließen sich der Expertin nach in drei Kategorien einordnen: Datenschutz, Moderation von Inhalten und das Kartellrecht. Dabei würden die globalen Gesetzgeber die kleinen Unternehmen vor den großen Spielern schützen wollen. Doch mehr Gesetze führen zumeist zum Gegenteil, sagt Analystin Tracy Li.
„Ich glaube, dass strengere Gesetze im Datenschutz oder bei den Inhalten den Burggraben der größten Plattformen eher stärken als schwächen“, sagt Li. Denn die großen Player verfügten oft über gut etablierte Protokolle und hätten gleichzeitig mehr Ressourcen, um Datenschutz- und Rechtsfragen anzugehen. Kleine Konkurrenten könnten sich das kaum leisten – vor allem dann, wenn sie keine starke Position am Markt haben.
Auch beim Datenschutz dürften Konzerne Vorteile haben. „Viele von den Unternehmen selbst erlassenen Datenschutzrichtlinien sind viel wichtiger als die Gesetzgebung“, sagt Li. Die IDFA (Identifier for Advertisers) seien ein aktuelles Beispiel. Die Werbetechnikbranche verlasse sich stark auf individuelle Daten in Form von IDFA-Nutzerdaten von Apple und Cookies von Drittanbietern, um gezielte Werbung zu schalten. Jedoch plane Apple, den Drittanbietern immer weniger dieser Daten zu liefern. Auch Google überlege, Cookies von Drittanbietern in seinem Internetbrowser Chrome demnächst auslaufen zu lassen.
„Letztendlich werden wahrscheinlich die Unternehmen Wettbewerbsvorteile haben, die Zugang zu First-Party-Daten haben oder viele Informationen auf ihren eigenen Plattformen oder Ökosystemen sammeln können“, sagt Li. Darüber hinaus dürfte die globale gesetzliche Landschaft im Datenschutz wahrscheinlich immer komplexer werden. Das betreffe erneut vor allem die kleinen Unternehmen, die keine Millionenbudget für ihren Datenschutz aufbringen könnten. Im Umkehrschluss bedeute das: Datenschutzgesetze könnten die großen Tech-Unternehmen sogar gegenüber Newcomern schützen.
Das gelte auch bei der Inhaltsmoderation. „Bis heute sind Internetunternehmen in den Vereinigten Staaten weitgehend von den Inhalten abgeschirmt, die auf ihren Plattformen veröffentlicht werden“, weiß Li. Wahrscheinlich werde sich das in der nahen Zukunft ändern. Li sieht einen politischen Konsens darüber, dass Internetplattformen zu mehr Transparenz und Berichterstattung über die Verwaltung von Inhalten verpflichtet werden sollen – und dass sie Inhalte innerhalb von 24 Stunden entfernen müssen, wenn dies von einem Gericht angeordnet wird. Die Kosten für die Einhaltung dieser Vorschriften dürften steigen und Geldstrafen könnten häufiger werden. „Wieder einmal sind besonders die kleinen Unternehmen betroffen, die sich das nicht leisten können. Der Burggraben der großen Unternehmen wird also tiefer werden“, sagt Li.
Schließlich werde auch das Kartellrecht eine Rolle spielen. Für Internetunternehmen scheinen die Anklagen der Quasi-Monopole die bedrohlichsten regulatorischen Risiken zu bergen. Li meint: „Das Kartellrecht für die großen Internetplattformen ist jetzt das, was Sicherheit und Solidität für die großen Banken damals war – es ist das wichtigste systemische Problem, das die Regulierungsbehörden sehen.“ So könnte ähnlich dem „too big to fail“-Gedanken für Banken ein Rahmen für Internetplattformen implementiert werden, in dem unterschiedliche Wettbewerbsregeln basierend auf der Größe des Unternehmens angewendet werden.
„Ich erwarte keine Zerschlagungen von Unternehmen, aber ich denke, dass es in Zukunft viel schwieriger werden wird, Fusionen und Übernahmen abzuwickeln“, sagt Li. Die Untersuchungen des Repräsentantenhauses zur „Monopolmacht“ von Apple, Amazon, Google und Facebook seien ein Beispiel dafür, dass zukünftige Fusionen und Übernahmen genauer unter die Lupe genommen werden.
Keine Panik bei neuen Gesetzentwürfen
Das Wichtigste, das Investoren beachten sollten, sei nach Li: „Wie bei den meisten Regierungs- oder Regulierungsmaßnahmen ist die erste Version eines Gesetzentwurfs fast nie der genaue Text des endgültigen Gesetzes.“ So auch im Kartellrecht. „Sehr wahrscheinlich wird jede Änderung des Kartellrechts ganz anders aussehen als die vorgeschlagenen Gesetzesentwürfe“, sagt Li.
Und außerdem würden Kartellrechtsfälle sowieso häufiger mit Vergleichen oder Geldstrafen enden, als mit der Zerschlagung eines Unternehmens. „Die großen Unternehmen können in der Zwischenzeit daran arbeiten, mögliche Auswirkungen abzumildern und sich selbst regulieren“, sagt Li. Für die Investoren von großen Technologienwerten gäbe es also keinen Grund zur Panik.