Sind die starken Preissteigerungen nur vorübergehend oder von Dauer? Muss eine Reaktion der Notenbanken erfolgen oder nicht? Diese Fragen polarisieren derzeit und beide Lager stehen sich unversöhnlich gegenüber. „Der Fed-Chef hat sich mit seinen Äußerungen jetzt in die Mitte gestellt und sieht die Inflation nicht als kurzfristig an, aber auch nicht als ewig“, sagt Ivan Mlinaric, Geschäftsführer der Quant.Capital Management GmbH. „Das ist salomonisch, aber wenig hilfreich. Nüchterne Zahlen liefern eine bessere Einschätzung.“
Derzeit stehen auf der einen Seite jene Experten, die auf die derzeitigen Inflations-Höchststände hinweisen, die Inflations-Prognosen Monat für Monat nach oben korrigieren und eine längere Phase hoher Inflation mit entsprechenden Folgen für Verbraucher und Unternehmen vorhersagen. Auf der anderen Seite befinden sich, angeführt durch die EZB, diejenigen, die die derzeitige Inflation infolge der Coronakrise als etwas betrachten, dass auf vorübergehende Faktoren basiert, und einen Rückgang ab Januar vorhersagen.
Zahlen und Fakten nehmen beide Seiten für sich in Anspruch. Die Dauerinflationisten führen die steigenden Erzeugerpreise an: Im Oktober sind diese in der Eurozone um 19 Prozent binnen Jahresfrist nach oben geschnellt. In Spanien lag der Anstieg sogar bei +31,9 Prozent. Und bisher ist noch nicht viel davon in den Verbraucherpreisen angekommen. „Dazu kommen die Lieferketten, die sich immer noch nicht wieder eingespielt haben, mit ihren historisch hohen Transportkosten“, so Mlinaric. Diese steigen weiterhin mit rekordverdächtiger Geschwindigkeit, zuletzt in Deutschland mit +21,7 Prozent binnen Jahresfrist.
Die vierte Coronawelle mit ihren wieder steigenden Einschränkungen auf die weltweite Wirtschaft dürfte die Lieferketten zusätzlich belasten, die historisch hohen Preise für Düngemittel halten den Druck auf die Nahrungsmittelpreise aufrecht. Diese waren zuletzt mit +4,4 Prozent über das Jahr in Deutschland ebenfalls stark gestiegen. „Schlussendlich gibt es auch hausgemachte politische Faktoren, die die Preise steigen lassen: Die Erhöhung des Mindestlohns, die steigende CO2-Abgabe und die wieder stärkere Förderung der Erneuerbaren Energien“, sagt Mlinaric.
Die Kurzzeitinflationäre rund um die EZB gehen davon aus, dass sich die Inflation Anfang 2022 wieder beruhigt. Ein schwaches Argument ist der oft zitierte Einmaleffekt durch die Mehrwertsteuersenkung. So ist dieser nur für Deutschland relevant, die Gesamtsituation in der Eurozone beeinflusst er kaum. Relevanter ist dagegen der als Kernargument angeführte Basiseffekt bei Öl- und Gaspreisen. „Angesichts der aktuellen Entwicklungen am Markt dürfte dieser ab März verschwinden, was sich stark bremsend auf die weitere Entwicklung der Energiepreise auswirken wird“, sagt Mlinaric. Da die Energiepreise einen hohen Anteil am Warenkorb haben und zugleich mit zuletzt 18,6 Prozent besonders stark gestiegen waren, steigen die Inflationsraten entsprechend langsamer. Höhere Gaslieferungen aus Russland werden diese Entwicklung unterstützen.
Was bedeutet das nun für die Entwicklung der Inflation? Betrachtet man die Vielfalt der Faktoren, die Einfluss auf die Preisentwicklung haben und die dabei extrem gegenläufig sind, ist die Unsicherheit verständlich. Letztlich geht es um die zeitliche Dimension der Inflationsraten: „Der Ablauf, mit dem die verschiedenen Faktoren ihre Wirkung entfalten, ist entscheidend und so spricht vieles dafür, dass wir zunächst noch einen weiteren Anschub bei den Inflationsraten sehen werden“, sagt Mlinaric. Spätestens ab März kommenden Jahres dürfte der Druck dann nachlassen. Ein Rückgang der Inflationsraten ist bei unveränderter Gesamtlage wahrscheinlich. „Nicht vergessen werden darf aber dabei, dass die einmal gestiegenen Preise wohl eher nicht in größerem Umfang fallen werden“, so Mlinaric.