Vates Invest: Versagt die Zinsstruktur als Rezessionsindikator? Ja. Und nein!

Anhand der Zinsstrukturkurve ließen sich über Jahrzehnte treu Rezessionen vorhersagen. Doch derzeit scheint der Indikator nicht zu funktionieren: Er sendet stetige Warnungen, doch die Rezession will nicht kommen. „Das heißt aber erst einmal nur, dass ein sehr verlässlicher Indikator einmal ein Fehlsignal senden könnte“, sagt Benjamin Bente, Geschäftsführer der Vates Invest GmbH. „Damit läge seine Trefferquote seit den 1960er-Jahren aber immer noch bei herausragenden 80 Prozent.“ Weshalb der Indikator auf keinen Fall ignoriert oder gar abgeschrieben werden sollte.

Vielfach wird zurzeit die Zinsstruktur als Vorlaufindikator für Rezessionen grundsätzlich hinterfragt, weil sie seit nunmehr fast anderthalb Jahren klare Rezessionssignale sendet und es einfach überhaupt nicht zu einer Rezession kommen mag. „Daraus leiten viele ab, dass dieses Mal alles anders ist und die Zinsstruktur generell nicht mehr funktioniert“, sagt Bente. „Es hätten sich grundlegende Dinge geändert im System.“ Dazu werden dann etwa besondere Umstände am Arbeitsmarkt nach der Coronarezession gezählt, aber auch die Tatsache, dass die Banken bei der Kreditvergabe ihre beherrschende Position abgeben mussten, seit Private Lending zugelegt hat. Weitere logisch klingende Argumente werden bemüht um zu erklären, warum der seit Jahrzehnten gängige Mechanismus, nach dem die inverse Zinsstruktur zu Kreditkontraktion und dann in der Folge zu einer Rezession führt, angeblich nicht mehr funktioniert.

„Grundsätzlich ist es immer möglich, dass sich Dinge grundlegend ändern und deswegen nicht mehr funktionieren“, sagt Bente. „Allein: Es ist nicht wahrscheinlich.“ Viel wahrscheinlicher ist es, dass die Zinsstruktur als Indikator weiterhin funktioniert, aber dieses Mal ein Fehlsignal sendet. „Nur weil sie bei den letzten acht Rezessionen exzellent funktioniert hat, heißt das nicht, dass sie nicht mehr funktioniert, weil sie einmal ein Fehlsignal liefert“, so Bente. „Denn an den Märkten gibt es keine 100-Prozent-Sicherheiten.“

Fehlsignale bei Indikatoren kommen immer wieder vor und auch die Zinsstruktur hatte bereits einmal ein Fehlsignal: 1966/67 sagte sie eine Rezession vorher, die nicht kam. „Wer damals genauso nach Argumenten gesucht und diese sicherlich auch gefunden hätte, warum die Zinsstruktur versagt hat und warum sie nicht mehr funktioniert, der hätte die nächsten acht Rezessionen voll mitgemacht – vor denen die Zinsstruktur allesamt perfekt gewarnt hatte“, sagt Bente. „Es wäre also damals der größte Fehler gewesen, die Zinsstruktur generell über Bord zu werfen, weil sie in dem einen Moment nicht funktioniert hat.“

Fehlsignale kommen vor, doch der grundlegende Mechanismus ergibt weiterhin Sinn. Schon 1970 und auch in den folgenden Jahrzehnten ließ sich damit ausnahmslose jede Rezession an den Kapitalmärkten vorhersehen und mit entsprechender Verringerung der Aktienquoten umschiffen. „Deswegen steigt zwar momentan die Wahrscheinlichkeit, dass wir derzeit nach 1967 in das zweite Fehlsignal der Zinsstruktur laufen“, so Bente. „Und zwar ganz einfach deswegen, weil so lange nichts passiert ist.“

Der Übersetzungsmechanismus von der inversen Zinsstruktur zur Rezession hat zwar in der Geschichte immer unterschiedlich lang gedauert und es ist auch weiterhin möglich, dass es derzeit einfach nur eine sehr lange Transmission ist. „Aber klar ist: Je länger sie dauert, umso mehr steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es dieses Mal nicht zu einer Transmission kommt“, sagt Bente. Die andauernde Stärke der US-Volkswirtschaft begünstigt die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem Fehlsignal der Zinsstruktur kommen wird. „Das würde aber mitnichten bedeuten, dass sie nicht mehr funktioniert“, sagt Bente. „Das würde einfach nur bedeuten, dass die Trefferquote der Zinsstruktur mit Blick auf die vergangenen sechs Jahrzehnte von knapp 90 auf 80 Prozent gesunken wäre, was immer noch eine hervorragende Trefferquote ist. Und dass es im Gegenteil umso lohnender ist, beim nächsten Mal wieder auf die Zinsstruktur zu hören und sie nicht über Bord zu werfen.“

Interessanterweise ist das nicht die einzige Parallelität, die es gerade zu 1966/67 gibt. Auch die Aktienmarktentwicklung ist frappierend ähnlich und auf den Aufschwung 1967 am Aktienmarkt folgte die Topbildung von 1968 und danach ein Bärenmarkt. Insofern könnte es auch aufgrund dieses extrem ähnlichen Verlaufes mit makroökonomisch ähnlichen Ursachen – kriegsinduzierte Inflation, schnelle Zinserhöhungen – und dem Fehlsignal der Zinsstruktur jetzt möglicherweise zu einem ähnlichen Bärenmarkt wie damals kommen. „Auch deswegen sollte man vielleicht nicht ganz die bullische Brille aufsetzen, sondern weiterhin sehen, dass die makroökonomischen Gefahren, die von der Zinsstruktur angezeigt werden, immer noch zeitversetzt kommen können“, so Bente.