Brandywine Global: Für den US-Dollar wird die Lage komplexer

Er ist noch immer die wichtigste Währung der Welt und unter anderem Leitwährung der Rohstoffmärkte: der US-Dollar. Hinzu kommt, dass sich viele Volkswirtschaften aus Schwellenländern in Dollar refinanzieren. Seit Ende März 2020 ist der US-Dollar unaufhaltsam und kontinuierlich gesunken. Anujeet Sareen, Portfoliomanager bei Brandywine Global, einem spezialisierten Investmentmanager und Teil von Franklin Templeton, kommentiert den Einbruch der Leitwährung und erläutert, was künftig auf den US-Dollar zukommt.

1. Verstärkte weltweite Erholung
Die Kombination aus wirksamen Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus, einschließlich Versorgung, Behandlung, Kontaktbeschränkungen und so weiter, und einer substanziellen Geld- und Fiskalpolitik hat zu einer Verbesserung der Aussichten für die Weltwirtschaft geführt. Unterdessen wurde der US-Dollar als Weltreservewährung im März 2020 inmitten der Krise stärker und schwächt sich seitdem kontinuierlich ab, während sich die globalen Wachstumsaussichten verbessern.

2. Veränderte Wachstumserwartungen
Die Erwartungen an das relative Wachstum haben sich vom Wachstum in den USA zugunsten des Wachstums außerhalb der USA verschoben – insbesondere nach den Meldungen über die Wirksamkeit der Corona-Impfstoffe. Die US-Wirtschaft hat eine kräftige Erholung durchlaufen, die sich voraussichtlich fortsetzen wird. Mit Ausnahme von China entwickelte sich der Rest der Welt in der ersten Hälfte des Jahres 2020 jedoch deutlich schlechter. Diese Länder werden sich wahrscheinlich ebenfalls stark erholen. Entwickelt sich das US-Wachstum unterdurchschnittlich, insbesondere in einem sich verbessernden globalen Wachstumsumfeld, gibt der Dollar in der Regel nach.

3. Verzögerte Normalisierung
Zusätzlich zu ihrer Beteiligung an der Lockerung der globalen geldpolitischen Bedingungen unternahm die Fed einen weiteren Schritt zur Formalisierung des durchschnittlichen Inflationsziels. Im Gegensatz zu früheren Zyklen wird die Fed die Stimulierungsmaßnahmen nicht zurücknehmen, wenn die Inlandskonjunktur anzieht. Stattdessen wird sie abwarten, bis sich die Inflationsdynamik stärker um das Ziel herum eingependelt hat, bevor sie handelt. Folglich können die realen Renditen prozyklisch sinken und genau das ist in den vergangenen Monaten geschehen. Dies übte auf den Dollar zusätzlichen Druck aus.

4. Wachsendes Handelsbilanzdefizit
Schließlich hat sich die US-Handelsbilanz für Waren und Dienstleistungen in den vergangenen sechs Monaten drastisch verschlechtert; das Defizit im November war das größte seit weit über einem Jahrzehnt. Dieser Rückgang spiegelt zum Teil die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit des US-Dollars, die relativ höhere fiskalische Unterstützung für die Einkommen der US-Haushalte und den idiosynkratische Charakter dieses Aufschwungs wider, der den Konsum von Gütern gegenüber dem Konsum von Dienstleistungen fördert.

Was kommt als nächstes auf den US-Dollar zu?
Von all diesen Themen wird vor allem das globale Wachstum weiterhin eine große Rolle spielen. Die Frühindikatoren scheinen für das Wachstum 2021 durchgängig positiv zu sein und da der Anstieg der Coronavirus-Infektionen und die Impfmaßnahmen die Länder zur Herdenimmunität führen, werden wir in diesem Jahr auch eine beschleunigte starke Nachfrage im Dienstleistungssektor erleben. Unserer Ansicht nach wird das Jahr 2021 eines der stärksten Jahre in der Geschichte werden. Daher bleibt diese Thematik ein belastender Faktor für den US-Dollar.

Auch die US-Handelsbilanz in der ersten Jahreshälfte 2021 wird eine Belastung darstellen: Eine weitere Steigerung der Kaufkraft der US-Haushalte, die durch die Phasen vier und fünf der fiskalischen Stimulierung angekurbelt wurde, wird dadurch eingeschränkt, dass nur begrenzt Geld für Dienstleistungen ausgegeben werden kann. Diese Kräfte dürften zu einer weiteren Schwächung der Handelsbilanz führen, was ebenfalls negativ für den Dollar ist.

Die Lage verdichtet sich
Im Gegensatz zur Technologie- und Telekommunikationskrise in den frühen 2000er-Jahren und der globalen Finanzkrise 2008 war die letztjährige Rezession nicht in erster Linie ein Problem der USA. Es war ein weltweites Problem. Nun muss man nicht zwingend davon ausgehen, dass die US-Wirtschaft in ihrer Erholung hinterherhinkt, wie es von 2001 bis 2007 und 2009 bis 2011 der Fall war. In den frühen 2000er-Jahren brauchten die USA Zeit, um sich von dem Investitionsüberhang der Technologie-/Telekommunikationspleite zu erholen. In ähnlicher Weise brauchte der US-Finanz- und Immobiliensektor in den Jahren 2009 bis 2011 Zeit, um sich zu erholen und den entlassenen Arbeitnehmern die Möglichkeit zu geben, neue Arbeitsplätze in neuen Branchen zu finden. Dies waren besonders ausgeprägte Probleme für die US-Wirtschaft, die in diesen Zeiträumen zu einer unterdurchschnittlichen Entwicklung des Wachstums führten. Damals verfolgte die Fed eine weitaus lockerere Geldpolitik als andere Zentralbanken.

Heute hat die Fed zusammen mit den Zentralbanken weltweit die Geldpolitik gelockert. Mit Ausnahme der People‘s Bank of China unterscheidet sich die aktuelle Geldpolitik der Fed nicht wesentlich von der anderer großer Zentralbanken. Die Erholung des US-Wachstums verläuft dieses Mal absolut und relativ gesehen deutlich ausgeprägter, weil die Finanzbehörden den privaten Sektor stärker finanziell unterstützt haben. Darüber hinaus sind die USA weltweit führend bei der Bereitstellung genau der Technologiedienstleistungen, die sich im Jahr 2020 als unverzichtbar erwiesen haben. Der zusätzliche fiskalische Stimulus aus dem Dezember-Paket und die bevorstehenden Konjunkturmaßnahmen der Biden-Regierung werden wahrscheinlich den inländischen Wachstumskurs stärken, selbst wenn ein Teil dieser Nachfrage im Handelssektor verpufft. Außerdem werden in den USA Impfungen stärker vorangetrieben als in anderen führenden Ländern, mit Ausnahme Großbritanniens. Daher könnte die US-Wirtschaft ihre Produktionslücke schneller schließen als die meisten anderen Länder. Vielleicht begünstigt das relative Wachstum also die USA. Die jüngste Outperformance von US-amerikanischen Small Caps gegenüber ausländischen Small Caps könnte diese Entwicklung einpreisen.

Diese Diskussion führt uns zur Fed. Mit ihrem neuen durchschnittlichen Inflationsziel hat die Fed deutlich gemacht, dass ein stärkeres Wachstum nicht ausreicht, um eine Änderung der Politik zu bewirken. Die derzeitige Politik der Fed spiegelt jedoch zum Teil Notfallmaßnahmen für die pandemiebedingte Rezession und zum Teil den Wechsel zu einem durchschnittlichen Inflationsziel wider. Sobald der Aufschwung in den USA, der vermutlich durch beträchtliche fiskalische Anreize beschleunigt wird, an Fahrt gewinnt, wird die Fed zunehmend vor der Aufgabe stehen, diese beiden gegensätzlichen Faktoren auszutarieren.

Ein schmaler Grat
Was bedeutet all dies für den Dollar? In der ersten Jahreshälfte 2021 dürfte er noch weiter fallen, insbesondere gegenüber den Schwellenländer- und rohstoffgebundenen Währungen mit höherem Beta. Anders als in der zweiten Jahreshälfte 2020 dürfte der Rückgang des US-Dollars jedoch volatiler sein, da die Fed auf diesem schmalen Grat wandert: zwischen deutlich über dem Trend liegendem Wachstum, dem abnehmenden Bedarf an Stimulierungsmaßnahmen und der Absicht, ihr Inflationsziel deutlicher zu erreichen.